Montag, 19. September 2022, 19.30 Uhr
FÄHRMANN ist eine positive Ausnahmeerscheinung auf dem deutschsprachigen Musikmarkt, der schlicht und ergreifend viel zu gut für unsere fast gleichgeschaltet wirkende Radiokultur ist, besonders wenn es um deutschsprachige Texte geht: „Ich seh‘ euch schmachtend – flach – da überm Wasser / Ihr giert nach allem, was da schwebt im Strom.“ („So weit die Füße tragen“ – ein Text im Gedenken an TAMARA DANZ, der verstorbenen SILLY-Sängerin)

Begleiten wir also mit „Neunzig Liter und mehr“ FÄHRMANN auf seiner musikalischen Reise – die definitiv kein American-Road-Movie ist – durch die poetischen Highlands guten, sehr anspruchsvollen Deutsch-Folks, der gegen den Strom schwimmt und lieber in einer Untiefe versinkt anstatt auf einer flachen Sandbank die letzte Badehose runterzulassen.
Dafür aber kehrt der Hol-über-FÄHRMANN seine Seele von innen nach außen, schwelgt in Erinnerungen an die Zeiten in der DDR, sogar die Stasi (auch wenn er mit keinem Wort diese diktatorische Unrechtskacke, vor der er 1988 floh, erwähnt), die unerträglich schienen und der Erkenntnis, dass vieles von dem, was wir nun haben, dem Überwunden-Gedachten mit seiner hässlichen Fratze, die nur eine andere Farbe hat, verdammt ähnlich erscheint.
Ja, ja – da kommt uns doch schon wieder die tote, charismatische Tamara in den Sinn, der eine zwar farbenfrohe Allerweltsschauspielerin mit großem Selbstbewusstsein folgte, aber ohne auch nur halbwegs mit den entsprechenden Fertigkeiten und Fähigkeiten dahinter, um eine würdige Nachfolgerin zu werden. Viele aus dem Osten mussten anscheinend solche Erfahrungen machen – auch FÄHRMANN, der jetzt im Ruhrpott lebt.
FÄHRMANNs poetische, kraftvolle Texte lieben und leben von herrlichen Wortspielen, die ihm der liebe Herrgott garantiert nicht in die Wiege gelegt haben kann, da der ja lieber angebetet statt hinterfragt werden will. Bei FÄHRMANN aber schwingen in jedem Text die Fragen nach, die unser Leben entweder als biedermännisch oder widerständig offenbaren. Und damit müssen wir klar kommen, während der Liedermacher im BOB DYLAN-Style uns einen bläst – mit seiner Mundharmonika – oder auch mal die Wurlitzer und fette Orgelklänge rausholt, um uns runterzuholen aus unserem Wohlstandsmief, den wir als Bereicherung empfinden, obwohl er uns doch so viel ärmer macht: „Und ich weiß auch, Geld verändert sich und was ihr liebt ist nur lackiert / Und Haltung wird heut‘ nur noch über Viehzucht definiert.“ („Der alte Kirchturm“)
Bei solchen Aussagen kann man natürlich auch mit Akkordeon, Banjo und einer Nudeldose als Tonerzeuger punkten. Und dann ist da noch dieses Gespür für feine Melodien, viel Melancholie, aber auch trotzige Härte, die uns ein „Mit mir nicht!“ entgegenschleudert. Noch dazu mit einer Stimme vorgetragen, hinter deren rauen Schale sich immer wieder dieser zärtliche Kern versteckt, der einer vergangenen Liebe oder einer verpassten Gelegenheit oder der Wahrheit, die sich hinter all den Lügen verflüchtigt hat, hinterhertrauert. Am Ende aber bleibt doch dieses „Ich steh noch immer hier“! (Musikreviews.de, Thoralf Koß)